Reichsprogromnacht: Entrechtung der Juden in Deutschland

Reichsprogromnacht: Entrechtung der Juden in Deutschland
Reichsprogromnacht: Entrechtung der Juden in Deutschland
 
Extremer Antisemitismus war ein Hauptbestandteil des nationalsozialistischen Programms. Zwei Monate nach der Machtübertragung auf Hitler eröffnete der neue Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, am 1. April 1933 mit dem von ihm im gesamten Reichsgebiet organisierten Boykott jüdischer Geschäfte und Einrichtungen die gnadenlose Hetze des nationalsozialistischen Staates. Wenige Tage später wurde mit dem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« die rechtliche Grundlage für die Entfernung »nichtarischer« Beamter aus ihren Stellungen geschaffen. Fortan wurden die jüdischen Mitbürger durch Gesetze und Verordnungen einem sie immer weiter ausgrenzenden Sonderrecht unterstellt.
 
Die Nürnberger Gesetze, auf dem Reichsparteitag am 15. September 1935 verkündet, erklärten die deutschen Juden zu Staatsbürgern minderen Rechts. Das »Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre« verbot unter Androhung von Zuchthausstrafen Eheschließungen und außereheliche Beziehungen zwischen »Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes«. Das »Reichsbürgergesetz« mit mehreren Folgeverordnungen entzog Juden das Stimmrecht und schließlich die Bürgerrechte; ihnen wurden die Ausübung des Arzt- und des Anwaltsberufs sowie alle kaufmännischen Tätigkeiten untersagt und jeder richterliche Schutz verweigert. Nicht zuletzt aus dem kulturellen und wissenschaftlichen Leben wurden sie vollständig entfernt.
 
Als am 7. November 1938 in Paris ein junger Jude aus Polen einen Angehörigen der deutschen Botschaft erschoss, nahm Goebbels diesen Vorfall zum Anlass, einen vorgeblich spontanen Aufstand deutscher Bürger gegen ihre jüdischen Mitbürger zu inszenieren. Über all im Reich wurden SA- und SS-Verbände angestachelt, die in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 Synagogen in Brand setzten und jüdische Geschäfte und Wohnungen plünderten und demolierten. Jüdische und auch andere deutsche Bürger, die sich den Brandkommandos in den Weg stellten, wurden angegriffen. Mehr als 26000 Bürger wurden in »Schutzhaft« genommen, etwa 100 Todesopfer waren zu beklagen.
 
Für die entstandenen Schäden wurde als besonderer Hohn den betroffenen Juden eine Geldbuße von einer Milliarde Reichsmark auferlegt, die an das Deutsche Reich zu zahlen war. Jüdische Geschäftsinhaber wurden enteignet, ihre Geschäfte wurden »arischen« Händen übergeben. Bis zu dem Novemberpogrom 1938 hatten trotz ständiger Diskriminierung erst rund 170000 jüdische Bürger, etwa ein Drittel der jüdischen Bevölkerung, Deutschland verlassen. Jetzt schwoll der Auswandererstrom an, wenn auch die Emigration von den deutschen Behörden, aber auch von den europäischen Nachbarstaaten immer weiter erschwert wurde.
 
Vermutlich Goebbels erfand für die Vorgänge des 9./10. November 1938 den zynischen Namen »Reichskristallnacht«. Die Entrechtung der Juden, die nur während der Olympischen Spiele 1936 in Berlin, einer gigantischen Propagandaveranstaltung der Machthaber, kurzzeitig abgemildert worden war, war nun weit vorangetrieben.

Universal-Lexikon. 2012.

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